Wenn Bürokratie die Wirtschaft stranguliert
Europa beginnt seine Regulierungswut extrem zu übertreiben.
Wissen Sie, wo die Bäume gewachsen sind, aus denen das Papier für die Seiten des Buches, das Sie gerade lesen, erzeugt wurde? Schwierig, nicht? Das kann sich aber bald ändern. Sobald die im Vorjahr in Kraft getretene EU-Entwaldungsrichtlinie tatsächlich umgesetzt ist (was Anfang 2025 oder 2026 der Fall sein wird, da wird noch gerungen), muss zumindest der Verlag die Herkunft des Papierrohstoffs bis hin zum Waldbauern lückenlos nachweisen. Ganz exakt mit den genauen Geodaten des Waldes, aus dem der Baum stammt.
Die Bestimmung gilt für eine Reihe agrarischer Rohstoffe und Produkte: Künftig muss jeder, der ein solches Produkt (etwa Rindfleisch, Kaffee, Kakao, Holz etc.) oder Waren, die ein solches Produkt enthalten, in Verkehr bringt, über die gesamte Lieferkette lückenlos nachweisen, dass der Rohstoff aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern stammt (bei Holz) beziehungsweise dass für die Erzeugung dieses Rohstoffs keine Wälder illegal gerodet wurden.
Kommen diese Produkte von außerhalb der EU, dann wird hier zusätzlich noch die Lieferkettenrichtlinie greifen, die alle Unternehmen in der Gemeinschaft verpflichtet, sicherzustellen, dass über die gesamte Lieferkette definierte Sozial- und Umweltstandards eingehalten werden. Dass also nicht irgendein Zulieferer beispielweise Zwangsarbeit einsetzt, um das gelieferte Produkt zu erzeugen.
Und in nicht allzu ferner Zukunft kommt auch noch CBAM dazu. Dieser „Carbon Border Adjustment Mechanism“ wird sicherstellen, dass für aus Drittländern importierte Waren anteilig CO2-Steuer gezahlt wird. Was natürlich nur geht, wenn der exakte CO2-Anfall während aller Produktionsstufen dokumentiert werden kann.
Wer also beispielsweise ein in China hergestelltes Handy importiert, wird unter vielem anderen nachweisen müssen, dass für die Mine im Kongo, die das Kobalt für den Akku liefert (so sie nach 2020 in Betrieb genommen wurde), kein Regenwald illegal gerodet wurde, dass in der Mine keine Kinder arbeiten und minimale Sozialstandards eingehalten werden. Er wird nachweisen müssen, aus welchem Wald die Bäume für die Verpackung stammen und wie viel CO2 bei der Produktion des Handys in den verschiedenen Produktionsstufen emittiert wurde. Und zwar lückenlos.
Das Ganze ist Teil des Green Deals der EU und vom Grundsatz her nicht verkehrt: Natürlich sollten Unternehmen auf die Einhaltung gewisser Mindeststandards achten (viele tun das schon längst). Und natürlich sollten Unternehmen darauf achten, dass ihre Lieferketten nicht Wälder zerstören oder zum Ausstoß von unnötig viel CO2 beitragen.
Der Teufel steckt im bürokratischen Detail. Wenn das buchstäblich so umgesetzt wird, wie es die EU-Richtlinien vorsehen, dann bricht in den Unternehmen die bürokratische Hölle los. Selbst der grüne deutsche Umweltminister Robert Habeck hat sich neulich schon dafür ausgesprochen, etwa die konkrete Umsetzung der Entwaldungsrichtlinie um ein Jahr auf 2026 zu verschieben, um Details zu klären und dem Ding die bürokratischen Giftzähne zu ziehen.
Es ist so, wie es geplant ist, schlicht nicht umsetzbar. Mehrere Länder, darunter Brasilien und Indonesien, haben die Entwaldungsrichtlinie schon als grünen Neokolonialismus bezeichnet, dem sie sich nicht beugen wollen. Da orientiert man seine Handelsströme lieber Richtung China. Und wie ein europäischer Mittelbetrieb die Sozialstandards in Bangladesch oder den CO2-Ausstoß seines Lieferanten in China seriös ermittelt, wenn die Geschäftspartner nicht mitspielen, ist wohl auch noch nicht allen klar.
Es wird für die europäischen Unternehmen, die für die Einhaltung der verlangten Standards ja letztverantwortlich sind, eine Art russisches Roulette. Vor allem aber wird es sehr, sehr teuer: Schätzungen, die auf ersten Erfahrungen mit dem bereits gültigen nationalen deutschen Lieferkettengesetz beruhen, gehen hinsichtlich des Dokumentationsaufwands für die Green-Deal-Verpflichtungen von bis zu zwei Prozent des Umsatzes aus. Denn die Dokumentationspflichten erfordern hohen Personalaufwand. Da werden wohl Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende neue Jobs entstehen. Ein Faktum, das einige linke Ökonomen übrigens als einen der großen Vorzüge dieser Gesetze sehen.
Damit geht freilich eine Entwicklung weiter, die schon jetzt dafür sorgt, dass Europa den wirtschaftlichen Anschluss an die USA und zunehmend auch an China verliert: Es fallen immer mehr wertschöpfende Jobs in der Produktion weg, dafür entstehen immer mehr Arbeitsplätze in der Dokumentation. Nachhaltigkeit ist wichtig, aber wenn, wie kürzlich bekannt wurde, in Deutschland schon fast so viele Menschen im Compliance-Bereich tätig sind wie in der Softwareentwicklung, dann läuft in einem Industrieland, das an der Weltspitze mitmischen will, einiges schief.
Der böse Spruch „Amerika innoviert, China produziert und Europa reguliert“ ist insofern falsch, als China durchaus dabei ist, in Sachen Innovation aufzuschließen. Aber dass sich Europa mit seiner Regulierungswut in Verbindung mit moralischem Sendungsbewusstsein (das im Rest der Welt übrigens alles andere als geschätzt wird) langsam bürokratisch selbst stranguliert, ist halt nicht mehr zu übersehen.
Wie gesagt: Nachhaltigkeit ist eine wichtige Sache. Und die muss durchaus einen noch höheren Stellenwert in den Unternehmen bekommen. Aber das Streben nach Nachhaltigkeit darf nicht in einer bürokratischen Hölle enden, in der langsam mehr Menschen mit der Dokumentation und dem Ausfüllen von Fragebögen beschäftigt sind als in Entwicklung und Produktion. Das ist einfach der gerade Weg in den wirtschaftlichen Abstieg. Auch wenn das die Bürokraten in Brüssel und den EU-Hauptstädten noch nicht so recht begreifen wollen.
Es handelt sich hier um einen zahlungspflichtigen Artikel vom 06.11.2024. Daher habe ich den Text hier kopiert.
https://www.diepresse.com/19035154/wenn-buerokratie-die-wirtschaft-stranguliert
Ich halte es aber für wichtig, dass diese Regulierung „breiter“ bekannt gemacht wird. Denn: Man kann mit Regulierungen, auch, wenn sie gut gemeint sind, übertreiben.
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